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Gasshuku in Wien

Nun fuhr ich bereits zum dritten Mal nach Wien zu einem Lehrgang mit Tanaka Sensei. Wie schon in den vergangenen Jahren reisten wir am Sonntag an, um einen kompletten Tag in Wien für uns zu haben. Nach einer langen Fahrt erreichten wir unser Ziel. Allerdings hätte die neunstündige Fahrt durchaus kürzer sein können, wenn wir kurz vor der österreichischen Grenze in der Tschechei nicht eine falsche Abfahrt genommen hätten, denn so fuhren wir gut sechzig Kilometer mehr...

Kurz vor fünf Uhr Nachmittags kamen wir in Wien an und bauten dann im Garten meiner Tante das Zelt auf. Natürlich gingen wir auch gleich noch an diesem Abend schwimmen, denn das Wetter war geradezu ideal. Und dann wurden am Abendbrottisch auch schon die Pläne für die nächsten Tage geschmiedet. Ich hatte von der Ausstellung "Körperwelten" gehört, wusste jedoch nichts Näheres, allerdings stellte sich heraus, dass meine Tante beabsichtigte, diese Ausstellung selbst zu besuchen. So stand also unser Nachmittagsprogramm für den Montag bereits fest.

Am Montag vormittag begaben wir uns in aller Frühe in die Stadt. Dort besichtigten wir zunächst wie üblich die Einkaufsmeilen Wiens: die Kärntner Straße und den Graben mit seiner ein wenig an die Münchener Marienkirche erinnernden Uhr. Doch auch den Stephansdom wollte ich mir diesmal etwas genauer ansehen. Eine Dom-Führung hätte zwar zu viel Zeit beansprucht, jedoch konnten wir wenigstens die Katakomben besuchen, in denen die Dom-Oberen bestattet waren, die Eingeweide der Habsburger (das österreichische Kaiserhaus) beigesetzt worden waren (die Habsburger wurden nach spanischem Hofzeremoniell bestattet) und nicht zuletzt auch noch die riesigen Kellergewölbe, die früher einst den Friedhof Wiens bildeten und in denen zehntausende Menschen beigesetzt worden waren. In einige der Gewölbe konnte man direkt hineingehen, da diese beräumt worden waren, andere konnten durch "Gucklöcher" betrachtet werden. Interessant hier insbesondere auch das Massengrab mit den Pesttoten und das "Beinhaus" (hier wurden die Knochen der Verstorbenen wie Holzscheite aufgestapelt). Im Anschluss gingen wir noch auf einen der Türme von St. Stephan, um einen schönen Ausblick zu genießen - wie wir uns erhofften, allerdings war uns dieser durch die vor den Fenstern befindlichen Baugerüste leider versagt.
Am Nachmittag wie gesagt ging es in die bereits eingangs erwähnte Ausstellung zur Plastination - Körperwelten, die in Wien übrigens wegen des starken Besucherandrangs sogar noch um einen vollen Monat verlängert wurde. Hier wurden Menschliche Körper ausgestellt, die nach allen Regeln der Kunst "haltbar" gemacht wurden. Es war wirklich faszinierend, wenngleich einige der Exponate m.E. doch nur noch relativ wenig mit der Wissenschaft zu tun zu haben schienen. Allerdings kann ich jedem, der die Gelegenheit einmal haben sollte nur empfehlen, diese Ausstellung zu besuchen. Man kann sehr viel über den eigenen Körper und die Möglichkeiten der modernen Medizin lernen. Eine echte Raucherlunge im Vergleich zu einer normalen Lunge - wer hat das schon einmal gesehen? Oder ein künstlicher Knie- oder Hüftgelenk, Missbildungen, die Funktionsweise der Nerven, die feinen Blutgefäße z.B. in der Niere...? Auf jeden Fall ist diese Ausstellung einen Besuch wert. Und für alle, die meinen, sie könnten keine Toten ansehen - wenn ich es nicht selbst gewusst hätte, zu sehen war es jedenfalls nicht, dass es sich hierbei um echte Körper handelte. So ging unser erster Tag in Wien zu Ende.

Am Dienstag dann sollte das Training beginnen. Um sechs Uhr Morgens machten wir uns auf den Weg zur Halle, zum Matsumae-Budo-Center der Tokai Universität zu Wien, wo auch schon in den Vorjahren das Training stattgefunden hatte. Zahlreiche bekannte Gesichter am Eingang ließen bei uns gleich ein heimisches Gefühl aufkommen. Zwar waren auch einige neue Lehrgangsteilnehmer zu sehen, doch im Wesentlichen waren doch wieder die "üblichen" Stamm-Karateka in der Halle zu sehen.

Diesmal waren doch mehr Karateka beim Training als in den Vorjahren. Vielleicht auch deshalb, weil sich eine Vielzahl der Lehrgangsteilnehmer am letzten Tag der Dan-Prüfung stellen wollte, sollte doch das nächste Trainingslager erst wieder im Jahr 2001 stattfinden.

Schwerpunkt dieses Trainingslagers waren diesmal wieder wie üblich diverse Faust- und Fußtechniken, wobei Tanaka Sensei gleich zu Beginn des Trainings herausstellte, dass Thema des Lehrgangs der richtige Einsatz der Hüfte sein soll - jeder Teilnehmer sollte daher seinem Hüfteinsatz besonderes Augenmerk widmen und zwar insbesondere dann, wenn die Kraft nachlässt. Eine geordnete Aufstellung der Teilnehmer zum Training verlangte Tanaka Sensei diesmal nicht. Alle Teilnehmer stellten sich in einem großen Kreis auf und dann ging es auch schon los - zunächst dreißig bis vierzig Wiederholungen der einen Technik, dann weitere 50 Wiederholungen, die von den Teilnehmern zu zählen waren und danach natürlich noch die andere Seite. Zunächst einfache Handtechniken, dann mit Schrittbewegung und schließlich auch Fußtechniken, die zu guter letzt auch noch mit Handtechniken kombiniert wurden. So wurde das Training schnell sehr anstrengend.

Erfreulich allerdings, dass Tanaka Sensei es sich bei diesem Gashuku nicht nehmen ließ, das Aufwärmtraining vielfach selbst zu leiten, denn allein hier konnte man schon allerhand lernen und mit nach hause nehmen.

Erstaunlicherweise hatte Tanaka Sensei während dieses Lehrgangs sein Hauptaugenmerk nicht auf das sonst obligatorische Partnertraining gelegt. Vielmehr wurde diesmal sehr viel allein trainiert, was aber gleichwohl alles andere als einfach war.

Nach Abschluss dieses ersten Trainingstages fuhren wir kurz auf dem Wiener Vergnügungspark - dem Prater vorbei und kehrten dann am frühen Abend zurück, um noch ein kühles Bad in der Alten Donau zu nehmen.

Der Mittwoch wurde ähnlich fortgesetzt, wie der Dienstag geendet hatte. Am Vormittag diverse Grundschul-Kombinationen, die dann aber auch am Partner fortgesetzt wurden. Dieses erste Training ging vielen mächtig in die Knochen. Aus gab es hier eine erste Verletzung während des Trainings. Ein junger Ungar verdrehte sich bei der Ausführung von Mawashi Geri das Knie des Standbeines und musste das Training abbrechen und sich in ärztliche Behandlung begeben.

Der Nachmittag wurde dann jedoch glücklicherweise ruhiger fortgesetzt: Kata stand auf dem Programm. Nach einem einführenden Training aller Heian-Kata trainierten die Anfänger (bis einschließlich Blau) Tekki Shodan, während die übrigen Trainingsteilnehmer bei Tanaka Sensei das Training mit den Kata Bassai Dai fortsetzten.
Nach dem Training hatten wir uns vorgenommen, einige sehenswerte Museen der Stadt Wien zu besichtigen. So fuhren wir in das Zentrum und besuchten die Schatzkammer, in der zahlreiche Kunstwerke der weltlichen und geistlichen Kunst zusammengetragen worden waren. - Eine Sammlung, die wirklich äußerst sehenswert war. Zugleich nutzten wir die Gelegenheit, um einige der berühmten Bauwerke Wiens, die sich in unmittelbarer Umgebung befanden, gleichfalls zu betrachten - so z.B. dass Parlament, die Hofburg, die Staatsoper und einige andere mehr.

Den Abend verbrachten wir darauf in einer kleinen Restaurant an der Alten Donau, da für diesen Tag Selbstverpflegung angesagt war. Ein "kleines" Schlemmerfilet für 2 Personen erwies sich als derart umfangreich, dass wir die Nachspeise dann doch lieber abbestellten, denn wir konnten beim besten Willen nicht mehr essen.

Donnerstag fand traditionsgemäß nur eine Trainingseinheit am Morgen statt, während der Nachmittag frei blieb. Dies nahm Tanaka Sensei natürlich wieder einmal zum Anlass, um das dem Training etwas Besonderes abzugewinnen. Zu Beginn des Trainings stimmte er die Teilnehmer mit den Worten auf das bevorstehende Training ein: "Heute könnt Ihr Euch nach dem Training erholen, denn der Nachmittag ist frei. Daher werden wir jetzt etwas mehr trainieren. Wir werden heute nicht eintausend Bewegungen üben, sondern zweitausend! Dazu werden wir die Kata Heien Shodan 50 Mal laufen und anschließend eine weitere Kata 10 Mal." Für jede Kata war ca. 1 Minute eingeplant. Die Kata sollte nicht zu schnell gelaufen werden. Jeder sollte zudem auf den richtigen Hüfteinsatz achten... Nachdem die ersten zehn Kata in einem sich immer steigerndem Tempo absolviert worden waren, unterbrach Tanaka Sensei das Training kurz und wies noch einmal darauf hin, dass es wenig Sinn mache, nur durch die Kata zu rasen, man solle sich mehr konzentrieren... Doch daraus wurde denn doch nichts und so waren die Teilnehmer bereits 20 Minuten vor der geplanten Zeit mit ihren 50 Kata am Ende - aber dies nicht nur auf die Kata bezogen, denn die Kräfte hatten wirklich sehr stark nachgelassen.

Tanaka Sensei gab uns darauf Gelegenheit zu einem Kurz-Einstieg in die Praxis des Zazen. Zazen ist den Worten Tanaka Sensei's zufolge auch im Karate wichtig. Er glaubt, dass er seine zahlreichen Meisterschaftserfolge zu einem großen Teil auch seiner Übung des Zazen zu verdanken hat, da er so die Angriffe seiner Gegner zumeist schon voraussehen konnten, bevor sie tatsächlich stattfanden... Wir ließen uns daher alle nieder, wobei die meisten im altbekannten Schneidersitz saßen und nur einige wenige wirklich den "Zazen"-Sitz ausprobieren konnten, bei dem das rechte Bein auf dem linken abgelegt wird. Dann sollten wir die Augen schließen und nur ruhig atmen. Tanaka Sensei griff zum "Kyosaku" oder besser zu seinem Shinai (Bambus-Schwert) und ging dann herum. Immer wieder hörte man es pfeifen, wenn der Stock niedersauste und bei einem Karateka auf klitschnassen Anzug traf. Gerade sitzen war angesagt und das wurde mit der Zeit immer schwieriger. Zuletzt hatten wir tatsächlich zehn Minuten gesessen und meditiert.

Nach dem Training war frei und wir fuhren in das österreichische Heeresmuseum, wo unter anderem auch das Fahrzeug ausgestellt war, in dem der österreichische Kronprinz 1914 in Sarajevo erschossen worden war - dieses Ereignis war bekanntermaßen der Auslöser des 1. Weltkriegs. - Schon interessant, Geschichte einmal so hautnah "miterleben" zu können. Am Abend war dann im Garten meiner Tante noch einmal ein kleiner "Grillabend", bei dem wir es uns so richtig wohl gehen ließen.
Der Freitag war der letzte Tag des diesjährigen Gashuku. Tanaka Sensei schien es noch einmal wissen zu wollen und verlangte allen das letzte ab. Kihon bis zum Abwinken, Kumite und Kata. Nach 100 Minuten war das Training zu ende und dann hieß es: Die Dan-Prüfungen finden um 12 Uhr statt. 'Oh fein,' dachte ich, 'dann hast Du ja noch dreißig Minuten Zeit!' Aber ein Blick auf die Uhr belehrte mich eines besseren: In nur 10 Minuten war es so weit. Dann begannen die Prüfungen. 25 Kandidaten zum Shodan und weitere 12 Kandidaten zum Nidan warteten auf ihren Aufruf. Nach gut zweieinhalb Stunden war alles überstanden, die Prüfung geschafft, der Lehrgang zu Ende.

Zu guter letzt fuhren wir noch einmal auf den Prater, um uns ein wenig zu vergnügen. Am Samstag setzten wir uns wieder ins Auto - und ab ging es gen Heimat, die wir nach einer langen und anstregenden Fahrt auch wieder glücklich erreichten.

Wer sich mit dem Gedanken trägt, im nächsten Jahr auch mit nach Wien zu fahren, den muss ich leider enttäuschen. Erst im Jahr 2001 wird wegen der im Jahr 2000 in Tokyo anstehenden Karate-Weltmeisterschaften, in deren Organisation auch Tanaka Sensei stark mit eingebunden ist, wieder ein Gashuku in Wien stattfinden.

Ralph P. Görlach

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